Im Gespräch mit
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim

Wissenschaftsjournalistin



»Wir sollten uns alle hinter Wissenschaft und wissenschaftlicher Evidenz versammeln können«,

sagt Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin und beliebte YouTuberin mit maiLab.

Veröffentlicht am 12. August 2021

Dr. Mai Thi Nguyen-Kim ist eines der bekanntesten Gesichter im deutschsprachigen Wissenschafts­journalismus. Die Liste ihrer Preise ist lang, so erhielt sie 2021 den Grimme-Preis für ihre Corona-Wissensver­mittlung und ist Journalistin des Jahres 2020 des Medium Magazins. Ihrem YouTube-Kanal mailLab (funk) folgen über eine Million Abonnenten, kenntnisreich und originell aufbereitet verbindet sie Faktentreue mit Kreativität und Verständlichkeit.

Volker Stollorz
ist Geschäftsführer des 2015 gegründeten Science Media Center Germany (SMC). Seit 1991 berichtete der Wissenschafts­journalist aus Leidenschaft über die Reibungszonen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Volker Stollorz: Hallo Mai Thi Nguyen-Kim, schön, dass du bei der Initiative »Together for Fact News« mitmachst. Du bist als Forscherin gestartet, hast dann einen Switch hin zur Wissenschaftskommunikation gemacht und trittst jetzt immer öfter als Wissenschaftsjournalistin auf. Fühlst du dich der Profession der Wissenschafts­journalisten zugehörig oder fremdelst du noch?

Mai Thi Nguyen-Kim: Ich fühle mich inzwischen im Wissenschaftsjournalismus richtig positioniert. Am Anfang, als ich noch frisch aus der Forschung kam, habe ich den Unterschied gar nicht so richtig verstanden. Da habe ich persönlich Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftsjournalismus, Wissenschaftsvermittlung abwechselnd gebraucht, ohne das zu differenzieren. Ich erinnere mich noch, wie verwundert ich war, als ich zum ersten Mal vom Wissenschaftsjournalismus Sachen gehört habe wie: Wissenschaftskommunikation: Das ist ja nur Wissenschafts-PR. Und das fand ich sehr komisch, in einer idealen Welt sollte es nicht so viele Unterschiede geben und auch nicht so viele Interessenkonflikte, weil wir alle uns nur nach der Wissenschaft und der stärksten Evidenz richten sollten und dann vielleicht unterschiedliche Interpretationen haben, aber grundsätzlich auf dasselbe herauskommen. Es ist sehr interessant, wenn ich es mit Politikjournalismus vergleiche, wo jedem klar ist, deren Rolle ist es, Politiker auch mal zu grillen. Aber im Wissenschaftsjournalismus versteht man uns eher als Übersetzer. Ich glaube, das Übersetzen ist ein wichtiger Punkt, aber es ist nicht nur das. Es ist auch das Hinterfragen, auch das Einordnen und auch das Checks- und Balances – Sein für die Wissenschaft.

 
 

Genau, so sehe ich das als Wissenschaftsjournalist: Wir sind für die Fremdbeobachtung der Wissenschaft zuständig. Wir gucken drauf und zertifizieren damit eigentlich noch einmal unabhängig, was sicheres Wissen ist und was vielleicht Scharlatanerie.

Er ist auch in der Breite noch nicht so richtig komplett verstanden.

 

Hast du jetzt in der Pandemie stärker die Unterschiede im Journalismus gemerkt, also bei Wissenschaftsjournalisten zum Beispiel in Talkshows. Der Wissenschaftsjournalismus ist eine eher stille Disziplin. Sie machen ihre Arbeit, sind aber nicht so sichtbar, so wie du jetzt deutlich sichtbar bist.

Für mich ist es schwierig, das zu sagen, weil ich als Person für meine Arbeit natürlich sehr viel Aufmerksamkeit und auch sehr viel Wertschätzung bekommen habe jetzt während der Pandemie, was ja schön ist. Trotzdem merkt man in der Gemengelage immer wieder, dass die Leute nicht ganz verstehen, was der Unterschied zwischen Meinungen und einer demokratischen Abstimmung ist und einem wissenschaftlichen Konsens zum Beispiel. Und damit meine ich nicht nur Laien, damit meine ich auch akademische Kreise, journalistische Kreise. Da ist noch viel zu tun, vielleicht ist das auch eine Sichtbarkeits-Sache, vielleicht ist das auch mit ein Grund, dass man uns nicht so oft im Fernsehen sieht.

Du hast in einem Buch ein schönes Wort geprägt. Du hast geschrieben: »Wissenschaftliche Allgemeinbildung ist ein Impfstoff gegen Desinformation«. Das würden alle Wissenschaftsjournalisten unterschreiben. Aber dann hast du den schönen Begriff geprägt: Konsensdiskriminierung. Was ist eigentlich ein Konsens, wann ist es ein Konsens, wie stark muss er sein, damit er in der Öffentlichkeit nicht im Sinne von False Balance zerredet wird? Wie bist du auf den Begriff gekommen?

Das ist eine eigene Wortschöpfung. Konsensdiskriminierung, so beschreibe ich das, was in Medien oft mit wissenschaftlichem Konsens passiert. Was jetzt als neues Narrativ vielleicht der neuen Wissenschaftleugnung 2.0 oder 3.0 oder 4.0, ich weiß nicht, wo wir da jetzt schon sind, jetzt aus der Pandemie rausgegangen ist, nämlich immer, wenn irgendjemand wissenschaftlichen Konsens nennt, kann man auf drei, zwei, eins herunter zählen und dann wird geschrien: Meinungsfreiheit oder zumindest mal Einschränkung der Meinungsvielfalt. Dann kommen die ganz großen Schlaumeier und sagen: Wenn wir alle nur auf wissenschaftlichen Konsens hören würden, würden wir noch glauben, die Erde wäre eine Scheibe oder die Sonne würde sich um die Erde drehen. Wissenschaft lebt davon, dem Konsens zu widersprechen. Und das Schwierige an diesem Narrativ ist, dass es erst einmal wahr ist. Es stimmt ja alles, was sie sagen. Nur gleichzeitig – und das ist für manche schwierig zu vereinen – gibt es aber trotzdem Konsens und gleichzeitig gibt es so etwas wie die aktuell stärkste Evidenz. Was viele auch nicht verstehen, ist, du kannst der aktuell stärksten Evidenz widersprechen, aber ernst genommen in der wissenschaftlichen Community wirst du ja nur, wenn du selber auch stärkere oder eine entsprechende Evidenz mitbringst. Es reicht nicht, nur einfach mal so alles infrage zu stellen.

 

Ich habe mich ja auch geäußert: Wer ist überhaupt Experte, wie stelle ich das fest, wann weiß ich eigentlich, ob das ein hartes Wissen, ein verlässliches Wissen ist, wann herrscht Unsicherheit, wann ist Zweifel erlaubt und wann eher nicht? Wir wurden angefeindet, du ja auch: Was bilden wir uns ein, diese Meinungsvielfalt einzuschränken, was bilden wir uns ein, beurteilen zu können, wer jetzt etwas zu sagen haben soll oder was?

Was maßen wir uns an, als Nicht-Experten Professoren so zu beurteilen?

 
 

Und das finde ich ein interessantes Phänomen, weil das antiaufklärerisch herumgedreht wird: da kommt dann Wissenschaftspopulismus heraus. Also muss jeder, der irgendetwas zu sagen hat und sagen kann – er ist Professor an irgendeiner Uni – auf jeden Fall gehört werden, was ja Unsinn ist. Innerhalb der Wissenschaft ist es Unsinn und es ist natürlich auch für die Gesellschaft schädlich, wenn wir gar kein Gatekeeping betreiben würden.

Aber auch das ist wieder ein starkes Narrativ, weil da ja was Wahres dran ist – es nicht ganz falsch. Es ist natürlich so, dass Fachkompetenz eine große Rolle spielt. Und es stimmt ja auch, dass wir Wissenschaftsjournalisten nie die Fachexpertise haben werden von Fachleuten. Das ist gleichzeitig auch wahr.

Ich weiß nicht, ob du das kennst, der britischen Soziologe Harry Collins hat versucht herauszuarbeiten: Wie ist eigentlich der Umgang mit der Politik und wissenschaftlicher Evidenz? Und er fordert eine Art Eulengremium, was im Prinzip feststellen solle, welche Art von Konsens die Wissenschaft bezogen auf eine Fachfrage im Moment X gerade hat. Je höher der Konsens, die Übereinstimmung in der Wissenschaft ist, desto höher sollte die Beweislast des Politikers sein, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Aber wenn es wirklich keinen Konsens gibt zu einer Frage, dann ist der Politiker freier zu entscheiden, ob A oder B.

Die Frage ist, wie könnte man es machen? Was ja stimmt, ist, dass ich mich als Politikerin befreie, wenn wissenschaftlicher Konsens nicht so stark ist oder in bestimmten Fragen nicht da ist. Deswegen gibt es so einen Grundanreiz aus der Politik heraus, wissenschaftlichen Konsens kleiner zu machen, als er ist. So oder so ist man ja ein bisschen freier in seinen Entscheidungen. Man muss eben aufpassen, wenn man sowas hört, könnte man als Laie denken, dass es gesellschaftliche Fragen gäbe, die rein wissenschaftlich zu beantworten wären. Und das ist ja nie so. Und ich glaube, dieses Missverständnis führt auch zu dieser Bedrohungswahrnehmung, die manche haben, weil die sagen: Oh Gott, jetzt kommen die Wissenschaftlerinnen und wollen uns irgendetwas vorschreiben, wie wir unser alltägliches Leben zu leben haben. Hier wird nur die Evidenz geliefert für einen ganz wesentlichen Teil, den man nicht aus der Gleichung rausnehmen kann, aber mit in der Gleichung sind halt immer moralische, ethische, gesellschaftliche Fragen. Da muss man in der Politik selber Verantwortung übernehmen. Und manchmal versteckt man sich hinter der Wissenschaft, betreibt Cherry Picking auch bei den Experten, die man sich dann als Berater nimmt, um dann zu sagen, das ist wissenschaftlich richtig, anstatt einfach genauso legitim oder legitimer sagen zu müssen: Das ist der Konsens und ich entscheide mich darüber hinaus aber für diese politische Handlung, weil Wissenschaft nicht alles ist. Das wünsche ich mir, das vermisse ich noch: So viel Rückgrat und Ehrlichkeit in der Politik, dass man eben nicht gegen die Wissenschaft schießen muss, was sehr schädlich ist für Wissenschaft im Allgemeinen, für eine aufgeklärte Gesellschaft, sondern dass man der trotzdem zuhören kann und sich bewusst mit guten Gründen dagegen entscheiden kann.

 

Eine Frage, die mich oft bei deinen Youtube-Videos beschäftigt hat, ist, was du eigentlich darüber weißt, wann Menschen nach Argumenten suchen? Wann will jemand etwas wissen? Er will etwas wissen, wenn er sich entscheiden muss: Impfen oder nicht Impfen. Er will aber auch seine Entscheidung rechtfertigen, die er trifft, wenn er einen Diesel fährt, wenn es ein Fahrverbot gibt und er dennoch in die Stadt fahren will. Er braucht Argumente gegenüber anderen, und dann will ich andere überzeugen von dem, wovon ich überzeugt bin. Das sind drei Kernmotive. Wenn du dein Publikum imaginierst, kannst du dazu etwas sagen, was suchen die genau in deinen Videos?

Ich würde gerne zumindest noch eine Gruppe hinzufügen zu dem, was du gesagt hast, nämlich Menschen, die ein bisschen frustriert darüber sind, dass du, wenn du heute den Fernseher anmachst oder die Zeitungen liest oder irgendetwas googelst, dich selbst informieren möchtest, dass du immer widersprüchliche Infos findest und du immer das Gefühl hast, die eine sagt das und der andere sagt das und jetzt weiß ich auch nicht. Es gibt das Bedürfnis, es genauer zu wissen oder zumindest mehr Details zu erfahren, um in der Lage zu sein, eine eigene Meinung zu bilden und nicht in so einer ohnmächtigen Position zu sein, dass ich entscheiden muss, vertraue ich blind dieser oder jener Person. Da habe ich den subjektiven Eindruck, wenn ich die Kommentare lese, dass viele sehr dankbar sind, dass wir uns immer so viel mit Methoden aufhalten. Gerade, wenn es um Bewegtbild geht, kommt Wissenschaftsvermittlung oft zu kurz. Da spricht man immer nur über Ergebnisse und wir schauen immer, dass wir erst mal Grundlagen, aber auch Methoden erklären, damit man nicht nur hören muss, der Wirkstoff ist so und so viel Prozent wirksam, sondern was bedeutet diese Zahl, wie wurde sie ermittelt und dann kann man auch als Laie nachvollziehen, wo die Grenzen von einer Methode sind, woher Unsicherheiten kommen und so weiter. Ich denke, dass viele an irgendeinem Punkt in ihrem Leben, wenn sie sich eine Meinung bilden, an einem sehr offenen Punkt sind. Und ich denke auch, dass man, wenn man erst einmal einen bestimmten Weg gegangen ist, mit Confirmation Bias und so weiter, nicht mehr so leicht davon abrückt. Und dann ist das ein Kampf gegen Windmühlen. Aber so sehe ich meine Arbeit nicht, ich sehe das wirklich optimistischer. Ich glaube schon, dass ich viele Menschen erreichen kann, die ganz aufrichtig einfach nach mehr Infos suchen.

 
 

Ich habe ganz früh in der Pandemie ein Interview mit Professor Zimmermann aus Bonn geführt, er ist Verhaltensökonom. Er hat gesagt, in Zeiten hoher Unsicherheit sei es eigentlich sinnvoll, sich nicht sofort eine Meinung zu bilden. Es wäre besser, wenn man erst einmal ein bisschen wartet und sich informiert, damit man nicht schon eine Meinung hat, wenn sie sich ändern muss, weil neue Erkenntnisse hinzukommen. Das ist eine klassische Wissenschaftlerhaltung. Man bleibt erst einmal agnostisch, bezogen auf das, was man vielleicht erforschen will. Nicht weil das eine psychologisch tolle Eigenschaft wäre, sondern weil es eben sinnvoll ist, weil man dann die neue Information so verarbeiten kann, dass sie wirklich zu einer Meinungsänderung, einem Umschwung, einer Differenzierung beitragen kann. Fand ich einen sehr wichtigen Punkt und er sagte, viele hätten sich in einer Pandemie zu früh die Meinung gebildet: Ist nicht so schlimm oder wird alles ganz schlimm und die Wissenschaft war noch nicht so weit, am Anfang jedenfalls, das ganz genau sagen zu können.

Wir sind auch als Gesellschaft sehr ungnädig mit Meinungsänderungen und auch mit Zugeständnissen, dass man sich geirrt hat oder dass man die Meinung ändert. Wir als Gesellschaft machen es unseren Mitmenschen auch schwer, einzuräumen: da war ich vorschnell, das war blöd, ich sehe das jetzt anders. Das finde ich schade. Das ist etwas, das ich an der Wissenschaft und am wissenschaftlichen Arbeiten so schätze. Die Kultur dort ist jetzt auch nicht unbedingt super empathisch, vielleicht eher im Gegenteil. Es ist Alltag des wissenschaftlichen Arbeitens, dass man sich irgendetwas denkt, das könnte möglich sein und dann einsieht, es war wohl doch nicht so. Ich glaube, es ist hilfreich, sich nicht zu schnell eine Meinung zu bilden, da würde ich total zustimmen. Wir sehen aber gleichzeitig auch durch die Hochkonjunktur von Verschwörungs-Erzählungen, dass es uns Menschen sehr schwerfällt. Wir suchen Sicherheit in klaren Meinungen und manchmal ist es dann einfach leichter, nicht davon abzurücken und dann alles ein bisschen zu verschließen.

Und das ist ja auch ein gewisses Paradoxon, das ich für den Wissenschaftsjournalismus so empfunden habe. Einerseits soll man natürlich für das Publikum verständlich klar sagen, was der Fall ist oder wie man das einordnen kann. Andererseits ist die Wissenschaft auch ungemütlich, unbequem und verunsichert einfach durch das, was sie herausfindet. Ich lerne etwas über mich, was ich vorher nicht wusste. Und das ist logischerweise erst einmal verunsichernd und löst psychologische Abwehr aus. Die Wissenschaft ist nicht nur Schmusekurs und es ist alles schön, im Gegenteil. Sie sagt ja unangenehme Wahrheiten. Jetzt beim Klimawandel: Leute, wenn ihr euer Verhalten nicht verändert, dann wird es ziemlich heiß auf diesem Planeten, zu heiß. Insofern kommt man, wenn man sich dem Publikum zuwendet, auch mit dem Publikum in Konflikt.

Fast schon automatisch.

 
 

Und das ist ein Problem. Wenn ich jetzt über das Publikum nachdenke und das Publikum ist der König und ich muss es interessieren für das, was ich sagen will, aber es will das gar nicht hören. Was mache ich da? Wie gehst du damit um, bei den Themen, wo das Publikum nicht einfach nur interessiert ist, sondern vielleicht auch etwas nicht so gerne hört, was aber die Wissenschaft herausgefunden hat, was wichtig ist?

Ich glaube, dass jeder zugänglich ist für Differenzierungen. Wenn ich mit dem Knüppel um die Ecke komme, dann gibt es natürlich stärkeren Konflikt. Aber wenn ich die korrekte wissenschaftliche Sprache anwende und die Unsicherheiten mitkommuniziere, die Grenzen mitkommuniziere und zum Beispiel auch ganz klar sage: Ab hier ist es gar keine wissenschaftliche Frage mehr, sondern eine gesellschaftliche, eine ethische. Wir arbeiten bei maiLab grade an einem Video zur Antibabypille nur als Beispiel und da kann man pharmakologisch und medizinisch Nebenwirkungen und Wirksamkeit gegeneinander abwägen. Aber wenn es um so Dinge wie Nutzen und Notwendigkeit geht, da merken wir sehr schnell, da kann man alle zur selben Meinung bringen, dass so etwas wie Nutzen und Notwendigkeit bei einer medizinischen Maßnahme etwas sehr Subjektives ist. Dann kann man sagen, wir können uns einig darüber sein, dass es hier keine objektive, endgültige, sachliche Antwort darauf gibt. Und wenn man so kommuniziert, mache ich sehr positive Erfahrungen, dass dann auch Menschen, die nicht meiner Meinung sind, sich nicht überfahren fühlen und es leichter fällt zu sagen, an dem Punkt geht es dann auseinander, aber das andere, was sie gesagt hat, das klingt plausibel, das kann ich akzeptieren.

Wie sieht für dich der Wissenschaftsjournalismus der Zukunft aus? Er kann ja nicht so bleiben wie er ist, das glaube ich jedenfalls, er muss sich weiterentwickeln, aber wohin? Hast du da eine Vision, was wäre für dich eine Form von Wissenschaftsjournalismus, die in fünf Jahren das Publikum erreicht? Hast du da Ideen?

Wenn ich schaue, was es an Wissenschaftsjournalismus gibt und was meine Kolleginnen und Kollegen machen, das ist schon sehr viel starke Arbeit. Die ist nur nicht so sichtbar. Ich glaube, das ist einer der größten Baustellen, an denen man arbeiten muss. Und es ist ja leider so, dass die reichweitenstarken Formate, wo ich jetzt hauptsächlich stattfinde, also YouTube, Fernsehen und so weiter, dass man sich da nicht die Zeit nimmt, die Wissenschaftsjournalismus braucht. Ich spreche gerne von der Zwiebel. Wenn man sich das vorstellt wie eine Zwiebel: Ganz außen sind wir sehr oberflächlich – bei TikTok oder so gibt es auch Wissenschaftsinhalte – und ganz innen in der Zwiebel wäre dann die originale wissenschaftliche Studie. Jede Schicht hat ihre Berechtigung, denn ganz drinnen ist zwar das, um was es eigentlich geht in jedem Detail, aber das ist nur für sehr wenige Menschen zugänglich. Ich kann bei TikTok nur sehr oberflächlich sein, dafür erreiche ich sehr viele Leute und ich kann nicht von vornherein in die Zwiebel springen. Auch ich musste ja durch ein Studium erst einmal tiefer reinkommen. Der Kern des Wissenschaftsjournalismus ist trotzdem im Inneren der Zwiebel. Also jede Schicht hat ihre Berechtigung und gerade wenn ich jetzt an die reichweitenstarken Plattformen denke: Die sind eben sehr weit außen, das Innere der Zwiebel muss stärker sichtbar werden für die breite Bevölkerung.

 
 

Genau das ist ja eine Idee unserer Initiative. »Together vor Fact News« ist die Stärkung der Idee, Journalismus über Wissenschaft ist wichtig für die Demokratie, weil Wissenschaft immer wichtiger in der Demokratie wird und auch ein kompetenter Umgang mit dem Wissen der Wissenschaft immer wichtiger wird. Was verbindest du mit dem Motto »Together for Fact News«?

Ich glaube, das Wichtigste für mich ist das »Together«, denn Wissenschaft darf nicht ein akademischer Exklusiv-Club sein. Zeitgemäßer Wissenschaftsjournalismus und auch Wissenschaft müssen zugänglich sein für die große Breite. Es darf nicht sein, dass ich das irgendwie studiert haben muss. Ich sehe da nicht nur Verantwortung beim Wissenschaftsjournalismus, sondern auch in der Bildung, in den Schulen, dass man so was wie kritisches Denken, wissenschaftliche Methoden als Extra-Fach hat. Und was heißt Schulen? Ich hatte das nicht im Studium, so was wie wissenschaftliches Arbeiten als einzelnen Kurs – in einem naturwissenschaftlichen Studium! Ist eigentlich eine Sauerei. Es geht eigentlich nicht. Es müsste wirklich ganz früh anfangen und sich durchziehen. Und ich glaube, weil wir als Insgesamt-Gesellschaft besser rauskommen, wenn wir faktenbasiertere Entscheidungen treffen können.

 

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, wo du gesagt hast: Guter Journalismus oder sogar Wissenschaftsjournalismus – der ist wirklich wichtig!? Vielleicht auch da, wo du Kritik geerntet hast oder du gemerkt hast: Da gibt‘s ja ganz schön Gegenwind.

Was uns zum Beispiel im maiLab-Team immer sehr viel Kraft gibt, ist, dass wir immer wieder auch Kommentare und Nachrichten bekommen, zum Beispiel beim Thema Impfen – da kriegen wir sehr viel auch Emotionales und Anfeindungen und alles Mögliche. Aber wenn man einmal genauer hinschaut, kriegen wir auch viele, die dann sagen: danke, ich war wirklich unsicher. Oder ich habe hier im Umfeld es immer wieder gehört: das hat mich wirklich überzeugt. Also genau das Gegenteil von dem, was man immer hört, nämlich dass ja Menschen eh ihre Meinung haben, man kann die nicht überzeugen. Und das glaube ich wirklich nicht, weil sonst könnte ich meine Arbeit nicht machen. Das wäre zu frustrierend. Und ich sehe, wir bekommen dieses Feedback immer wieder, immer wieder. Das darf man nicht vergessen.

 

Dein Buch endet mit einem schönen Satz, finde ich: »Ich weigere mich zu glauben, dass wir Menschen nicht doch vernünftiger sein können. Und ich hoffe, dass wir von der Wissenschaft lernen können. Und ich hoffe, dass es besser wird«. Das ist ein gewisser Grundoptimismus. Der steht da ganz am Ende. Den hast du aber auch?

Den hab ich, ja. Das ist eine Glaubenssache.

Ich bin eher der pessimistische Geist. Ich glaube, wir brauchen mehr Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Wir brauchen mehr Kompetenz im Umgang mit Wissenschaft und auch Sichtbarkeit für die Komplexitäten der Wissenschaft. Wobei ich gleichzeitig natürlich nicht so optimistisch bin, weil der gemeine Mensch, der normale Bürger, die Bürgerin werden ja nicht alles über Wissenschaft wissen können. Sie müssen vertrauen am Ende, aber es kann ja ein informiertes Vertrauen sein.

Sie müssen vertrauen. Aber zwischen dem blinden Vertrauen, was man jetzt derzeit noch machen müsste, und dem, was noch sein könnte, ist noch so viel Luft nach oben. Gängige wissenschaftliche Methoden zum Beispiel: Jetzt haben wir vielleicht durch die Pandemie gelernt, was eine randomisierte kontrollierte Studie ist, also das Design einer Impfstudie. Aber es gibt noch viel mehr: auch statistische Größen. Nicht nur, was ist der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität, sondern zum Beispiel auch: Was sind denn Korrelationsstärken zum Beispiel? Habe ich eine Vorstellung von einem Korrelationskoeffizienten 0,5? Also, so ein paar statistische Basics, davon bin ich überzeugt, die können Allgemeinbildung sein. Das kann jeder verstehen, und das würde alles schon so viel besser machen. Das macht uns noch natürlich nicht zu Fachleuten, aber es ist so viel Luft nach oben. Da geht noch was.

 
 

Ganz zum Schluss: Wenn man Wissenschaft kritisieren muss, das gibt es ja auch, entweder schlechte Wissenschaft oder auch gekaufte Wissenschaft oder systemische Lücken in der Wissenschaft, die einfach fehlen. Wie gehst du damit um?

Ja, da fühle ich mich jetzt natürlich in meiner Rolle auch sehr viel freier, über so etwas zu reden und darauf hinzuweisen, wohlwissend, dass ich das auch sehr sorgfältig und differenziert machen muss, damit am Ende nicht übrigbleibt: Ach, der Wissenschaft kann man also auch nicht vertrauen. Aber auf Dinge hinzuweisen wie zum Beispiel Arbeitsbedingungen, Hashtag #IchBinHanna, auf Publikationsdruck, auf Anreize, die bestehen – systemisch – in der Wissenschaft, die der Qualität von guter Forschung im Wege stehen: Das finde ich ganz wichtig. Ich finde es nicht nur wichtig, weil das transparent sein muss und weil auch Menschen darüber aufgeklärt sein müssen, sondern auch, um zu verstehen, dass, wenn jemand sagt: Ah, Klimaforscher sind alle gekauft, man versteht: Nein, das sind sie nicht. Aber es kippt. Es gibt eben Interessenkonflikte. Und es ist trotzdem gut zu sehen, dass in der Wissenschaft nicht die klassischen kapitalistischen, sage ich einmal, Interessenkonflikte bestehen, sondern andere. Das hilft im Gesamtbild auch schon.

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