Im Gespräch mit
Prof. Dr. Armin Falk

Verhaltensökonom und Leiter des Instituts für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq) in Bonn



»Moderne Gesellschaften brauchen unbedingt das Vertrauen in Wissenschaft, sonst hätten wir ein Riesenproblem«,

sagt Prof. Dr. Armin Falk, Verhaltensökonom und Leiter des Instituts für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq) in Bonn im Gespräch mit Volker Stollorz, Geschäftsführer des Science Media Center Germany.

Veröffentlicht am 10. Mai 2022

Prof. Dr. Armin Falk
leitet das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq) und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn. Falk ist einer der weltweit renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler. Jüngst erschien sein Buch: »Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein: ...und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltens­ökonomen«.

Volker Stollorz
ist Geschäftsführer des 2015 gegründeten Science Media Center Germany (SMC). Seit 1991 berichtete der Wissenschafts­journalist aus Leidenschaft über die Reibungszonen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Volker Stollorz: Professor Armin Falk, herzlich willkommen zum Interview für die Initiative »Together for Fact News«, in der wir versuchen, Wissenschaft und Journalismus zusammenzubringen im Sinne der Aufklärung. Sie haben gerade ein Buch geschrieben mit dem sehr schönen Titel: »Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein«. Darin dokumentieren Sie anhand vieler anschaulicher Forschungsergebnisse und Experimente der Verhaltensökonomie, was bereits den Aufklärer Immanuel Kant im 18. Jahrhundert beschäftigte: »Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden«. Bei Ihnen im Buch heißt es: »Wenn wir unseren Planeten nicht völlig ruinieren wollen, müssen wir verstehen, wie wir unser Verhalten ändern können – als Konsumenten, Wirtschaftslenker, Wähler oder Politiker. Aber das setzt ein besseres Verständnis unseres Verhaltens voraus«. Es sei ein Witz, wie wenig wir über uns selbst wissen. Sind Sie nach dem Schreiben des Buches ein Optimist geblieben, was das Gute im Menschen angeht?

Armin Falk: Ja, ich bin im Kern, ganz tief drin sozusagen, ein Mensch, der glaubt, dass Aufklärung und besseres Verständnis tatsächlich helfen können. Aber ich glaube, man muss, wenn man ein ehrliches Assessment machen will, von dem, was der Mensch macht und was ihn umtreibt, tatsächlich auch mal in die Schmuddelecken gucken. Was sind denn die Stolperfallen? Was sind denn die Situationen, wo es Menschen besonders schwerfällt, gut zu sein? Denn die Persönlichkeit von Menschen ist nicht in Stein gemeißelt. Wir können zeigen, dass Umstände bei der Entwicklung von Persönlichkeiten eine wichtige Rolle spielen und natürlich auch die Entscheidungssituation, ob das jetzt als Konsument oder im Unternehmen und in der Politik ist. Diese Entscheidungssituationen sind nicht gottgegeben. Die können wir beeinflussen. Und wenn wir verstehen, welche Situationen dem Guten auf die Sprünge helfen, die das Gute wahrscheinlicher machen, dann können wir auch versuchen, diese Entscheidungssituationen entsprechend zu gestalten. Insofern würde ich sagen, ja, bin ich optimistisch.

 
 

Sie schreiben in Ihrem Vorwort:»In meinen Augen ist nichts langweiliger, als zu diskutieren, wie alles sein könnte oder sollte. Deshalb stützen sich Verhaltenswissenschaftler auf Daten und Fakten.« Das fand ich ein interessantes Statement. Ich als Wissenschaftsjournalist würde sagen, das ist eine wichtige Funktion von Aufklären, erst mal wissen wollen, erst mal herausfinden, was ist. Können Sie ein Beispiel nennen, was man tun könnte, um sowohl die Persönlichkeit als auch die Kontexte von Entscheidungen in eine positivere Richtung zu bringen, in dem Sinne, dass Menschen wahrscheinlicher gute Handlungen vollbringen könnten?

Ein Beispiel wäre die Wahrnehmung, dass wir in der Folgewirkung, also dem, was wir auslösen, nicht entscheidend sind. Da gibt es den Fachbegriff Pivotalität. Also man ist pivotal, wenn man einen entscheidenden Einfluss auf ein Ergebnis hat. Und gerade als Konsumentinnen und Konsumenten, glaube ich, ist das häufig eine sehr gute und auch sehr universelle Entschuldigung. Ich allein kann ja nichts ausrichten. Das Problem mit dieser Ausrede oder Entschuldigung ist, dass, wenn sie alle dann entsprechend formulieren, dann sich auch keiner um das Gute bemüht. Also da, zum Beispiel, wäre eine Forderung, dass man den Konsumenten in die Lage versetzt, einen Unterschied zu machen. Dafür ist zum Beispiel wichtig, dass er die Handlungsfolgen überhaupt versteht und erkennt. Die Lebensmittelindustrie, die Ölindustrie, die Tabakindustrie, alle diese Industrien gaukeln uns irgendwie vor, unser Konsum sei okay, ob das jetzt Autos oder Tabak oder Hühnchen aus Legebatterien sind und so weiter. Es ist aber vielleicht nicht okay. Und da wäre eine Forderung, dass man den Konsumenten wirklich informiert, aufklärt, Labels macht, Produktinformationen vorschreibt, damit der Einzelne wirklich überhaupt in die Lage versetzt wird, zu entscheiden, was er tun will.

Was ist jetzt eigentlich noch mal genau das Dilemma, das Gute zu tun? Sie sagen, dass das Gute in der Regel einfach nicht kostenlos zu haben ist. Das scheint ja das Kernproblem, ohne Kosten kann man auch nicht von altruistischem Verhalten sprechen.

Ich glaube, das kann man tatsächlich universell so sagen: Der altruistische Akt ist teuer, er hat einen Preis. Er ist mit Kosten verbunden. Und das ist sozusagen des Pudels Kern. Wenn wir uns kostenlos altruistisch verhalten könnten, dann würde das wahrscheinlich jeder gerne tun. Ja, jeder würde gerne ein Superheld sein, es auch allen erzählen, wie toll er ist. Es ist aber in der Regel mit Kosten verbunden, Gutes zu tun. Damit meine ich eben verschiedene Dinge. Das kann Geld sein. Wenn wir zum Beispiel spenden, dann ist es unmittelbar klar, worin die Kosten bestehen. Ich habe dann weniger Geld für mich, für meinen Konsum. Das kann aber auch Zeit sein, wenn ich jemandem helfe, wenn ich jemandem meine Aufmerksamkeit schenke. Das sind alles Dinge, die sozusagen meine Ressourcen in Anspruch nehmen, um jemand anderem etwas Gutes zu tun, um den Nutzen für andere zu erhöhen. Und wenn man verstehen will, wann moralisches Verhalten wahrscheinlicher wird oder unwahrscheinlicher, hängt das genau an diesem Zielkonflikt: entweder der objektiven Entscheidungssituation, die jetzt das Moralische sehr teuer macht, sei es, weil die Kosten sehr hoch sind oder weil der Nutzen, der Ertrag, den ich aus dieser Handlung habe, sehr klein ist, oder dass ich das subjektiv so wahrnehme. Da sind wir eben auch Weltmeister drin, uns die Situation so zurechtzuschneiden, dass wir sagen können: Na ja, ich glaube nicht, dass die Folgen so wichtig sind. Oder die Kosten sind extrem hoch. Das ist vielleicht objektiv gar nicht so. Aber wir haben eine gute Fähigkeit, uns das vor uns selber schönzureden.

 
 

Und das ist eben genau die Frage, die mich besonders interessiert als Wissenschaftsjournalist. Wieso sind wir so gut darin, selbst Argumente zu suchen, die unsere getroffenen Entscheidungen, die vielleicht altruistisch erscheinen sollen, aber im Grunde nun doch eher egoistisch sind, zu rechtfertigen? Wie kommt das?

Ja, da muss man vielleicht noch mal einen Schritt zurückgehen und sagen, dass Menschen typischerweise sehr wichtig ist, wie sie sich selber sehen, was für ein Selbstbild sie haben von sich. Jeder würde gerne gut über sich denken. Es ist einfach schön zu wissen, wenn man von sich selbst glauben und sagen kann, dass man im Prinzip ein guter Mensch ist. Und, ganz wichtig, man möchte auch vor anderen gut dastehen. Es ist von hohem gesellschaftlichem Wert, wenn man als jemand wahrgenommen wird, der, sagen wir mal, im Einklang mit gesellschaftlichen Vorstellungen, Normen und dem, was wir für richtig erachten, lebt und handelt. Da gibt es viele Beispiele für »das ist bei der Partnerwahl von Vorteil«, »das ist im Beruf von Vorteil«, »das ist im Freundeskreis von Vorteil«, in der Öffentlichkeit sowieso. Und dieses Selbstoder Fremdbild, das wir gerne haben, ist gefährdet, wenn wir uns unmoralisch verhalten. Es ist deswegen gefährdet, wenn offensichtlich wird, dass wir dieses Selbstoder Fremdbild zu Unrecht hätten. Und dann helfen uns Geschichten, weil sie eben auf eine bestimmte Art das falsche Handeln in ein Licht tauchen. Und wenn die Geschichte stimmig ist, dann ist das falsche Verhalten am Ende gar nicht so falsch gewesen. Dann habe ich eine gute Entschuldigung, eine Rechtfertigung. Und unter Gültigkeit oder unter Geltung dieser Rechtfertigung kann ich eben beides haben. Ich kann auf der einen Seite mich egoistisch verhalten und sozusagen die Vorteile des egoistischen Handelns einheimsen und auf der anderen Seite trotzdem gut dastehen. Und das ist das, was bestimmte Geschichten leisten. Dazu gehören eben alle Geschichten von Herabwürdigung, zum Beispiel von Leuten mit einer anderen Meinung. »Die haben ja nichts zu sagen«, »die verfolgen eigene Interessen«, »das sind Ökofaschisten und so weiter«, »das ist ja alles Teufelszeug«. Es gibt also eine ganze Fülle von Geschichten, die uns zum Teil selber einfallen, sozusagen als Abwehrakt gegen die Beschädigung unseres Selbstbildes, aber die wir auch von interessierten Kreisen übernehmen.

Und genau deswegen kommen wir hier zu dieser für mich so spannenden Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus. Denn der Journalismus ist ja eine Möglichkeit, Geschichten und Narrative in die Welt zu setzen mit großer Reichweite. Das heißt, Politiker, Lobbyisten, Interessengruppen können diese Geschichten natürlich auch nutzen, um Deutungsschemata in die Welt zu setzen, um bestimmte Verhaltensweisen zu fördern oder zu hemmen. Also, um Zweifel zu säen, nicht zu handeln, noch nicht zu handeln, später zu handeln, zu überlegen, ob wir vielleicht doch noch mal handeln wollen. Und das kann ja bis zur Desinformation gehen, dass man einfach bewusst falsche Dinge in Umlauf bringt, um Handlungen zu verzögern. Man wird ständig auch mit Geschichten konfrontiert, die in der Öffentlichkeit zirkulieren und in die Öffentlichkeit gedrängt werden, um dann Nichthandeln zu ermöglichen. Das heißt, der Journalist ist einerseits Aufklärer und gleichzeitig aber auch Geschichtenerzähler, der im Prinzip Entschuldigungen für das Dilemma bringen kann. Und da ist die Frage: Wie hängt das zusammen?

Ich glaube, da muss man eine wichtige Unterscheidung treffen. Geschichten können ein gutes rhetorisches Transportmittel sein, um komplexe, schwierige, aber valide Erkenntnisse zu transportieren. Also, in der ganzen Vermittlung auch von evidenzbasierter Erkenntnis und wichtigen Forschungsergebnissen können gute Geschichten helfen. Das heißt, die Geschichte als solche ist erst mal nicht falsch oder moralisch problematisch. Problematisch ist sie dann, wenn sie eine andere Funktion hat, nämlich um mich sozusagen zu exkulpieren, um mich also nachträglich in ein besseres Licht zu setzen, weil ich was Falsches getan habe, oder wenn es darum geht, bestimmte Interessen zu verfolgen. Und dann sind Geschichten unter Umständen eben sehr verführerisch und auch gefährlich, weil sie natürlich so plausibel sind. Der Grund, warum Geschichten so handlungswirksam sind, ist ja gerade: Im Kern könnten sie stimmen. Fast alle guten Narrative sind so konstruiert, dass sie im Prinzip stimmen könnten oder dass irgendetwas Plausibles daran ist. Einfach zu sagen, ich finde das falsch oder ich glaube das nicht, das ist oft zu wenig im öffentlichen Diskurs. Das ist manchmal auch verführerisch, dass man dann vielleicht die eigentlich gar nicht so spannende Wahrheit so ein bisschen dehnt, in eine packende Geschichte packt und damit aber eigentlich die Leserinnen und Leser aufs Glatteis führt. Und da ist, würde ich sagen, die Verantwortung des Journalisten schon sehr hoch. Dann ist es manchmal besser, bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn es Reichweite und Applaus kostet.

 
 

Sie haben schon gesagt, manche dieser Narrative sind einfache Ausreden, nicht das moralisch Richtige zu tun. Ich nehme mal als Beispiel den Klimaschutz. Da haben Sie ja ein paar schöne Gründe genannt, die wir ja auch alle kennen: Innovation rettet unser Klima, die Technologie, die Wissenschaft wird noch irgendetwas finden. Wir finden einen Ausweg und können jetzt deswegen die Hände noch in den Schoß legen. Oder: Klimaschutz gibt es nicht ohne internationale Kooperationen, wir haben aber noch keine Weltregierung. Und deshalb warten wir mal, bis es so weit ist. Warum verbreiten sich eigentlich diese moralisch entlastenden Geschichten oft wie ein Flächenbrand, obwohl sie dem Gemeinwohl letztlich schaden?

Es sind, glaube ich, zwei Fragen: Wo kommt der Wunsch zur Verbreitung her – und die andere, was sollte man mit solchen Geschichten tun. Vielleicht fange ich mal beim Zweiten an. Die Forderung ist ziemlich klar: Man muss, ich sage das jetzt unter Verwendung einer philosophischen Kategorie, auch wenn es sich nicht so anhört, man muss »Bullshit« – ja, das ist das Zitat eines berühmten amerikanischen Philosophen, Harry Frankfurt, der das Buch »On Bullshit« geschrieben hat »Ich glaube, man muss Bullshit als Bullshit entlarven.« Das ist ganz wichtig. Man muss immer wieder diese Dekonstruktion falscher Geschichten leisten. Das ist harte Arbeit, aber es ist extrem wichtig. Man muss immer wieder sagen: Nein, das ist nicht richtig. Das ist nicht in Übereinstimmung mit dem Stand des Wissens. Das ist nicht der wissenschaftliche Konsens, das ist nicht das, was die Gesellschaft jetzt als solche will, sondern das vertritt eine bestimmte Meinung. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Funktion von Journalismus, solche falschen und interessengeleiteten Narrative zu dekonstruieren und auf ihren Wahrheitsgehalt immer wieder zu überprüfen, das ist eine ganz zentrale Aufgabe von Journalismus.

Das Zweite: Warum sich moralisch entlastende Narrative verbreiten, hat genau mit ihrer Funktion, das Selbstbild zu wahren, zu tun. Denn die Wirkungskette geht sozusagen so: Weil ich ein moralisches Problem habe, finde ich oder übernehme ich eine solche exkulpierende Geschichte, so eine Geschichte, die mich vermeintlich gut dastehen lässt, obwohl ich das Falsche tue. Aber das Problem ist ja, dass nicht nur ich in so einer Situation bin, sondern fast jeder Konsument in Deutschland oder jeder Autofahrer, jeder Wähler, Wählerin usw. ist in einer ähnlichen Entscheidungssituation. Und indem ich diese Geschichte jetzt zur eigenen Exkulpierung erzähle, also zur eigenen Entschuldigung erzähle, hören das natürlich die anderen auch. In dem Moment, wo sie das hören, sagen sie sich, das ist für mich eigentlich auch eine gute Geschichte. Die kann ich vielleicht auch erzählen, um mein Fehlverhalten zu rechtfertigen. Und so erzählen sie diese munter weiter. Und deswegen verbreiten sich diese Geschichten so. Und hier entsteht genau auch die Verantwortung des Einzelnen, solche Geschichten eben nicht zu teilen. Wir funktionieren hier im gesellschaftlichen Diskurs tatsächlich wie soziale Relais, könnte man sagen. Man muss sich also bei der Wahl von Entschuldigungen und solchen Geschichten fragen: Welchen Nutzen hat das für mich selber? Aber welchen Schaden hat das Weitertragen in die Gesellschaft, wenn diese Geschichte dann wandert von einem zum nächsten und dann wie so ein Flächenbrand sich ausbreitet?

 
 

Die Entscheidungsarchitekturen in der Wissenschaft und auch im Journalismus sind extrem relevant für das Vertrauen in diese Systeme. Und Sie sagen ja selbst, die Konflikte sind da. Das ist nicht nur eine individuelle moralische Frage, sondern die Wissenschaft muss sich so aufstellen, dass sie auch in der Lage ist, Wahrheit zu suchen, wie auch der Journalismus sich so aufstellen müsste, dass er eben in der Lage ist, zu recherchieren und zu klären, was der Fall ist und was eben nicht der Fall ist.

Das ist absolut richtig. Ich glaube auch, dass moderne Gesellschaften unbedingt das Vertrauen in Wissenschaft brauchen. Ob das jetzt die Pandemie ist oder das Klima, Sie können fast jede gesellschaftspolitische Frage nehmen: Arbeitslosigkeit, soziale Spaltung, Ungleichheit – überall brauchen wir wissenschaftlichen Input. Wenn Vertrauen in Wissenschaft verloren ginge, wäre das für die Funktionsweise einer arbeitsteiligen, liberalen Gesellschaft, einer demokratischen Gesellschaft ein Riesenproblem. Genau deswegen arbeiten ja auch Populisten an der Dekonstruktion dieses Vertrauens und zwar permanent, indem sie sagen: Na ja, die Forscher wissen es ja nicht, die sind sich ja nicht einig. Da werden Minderheitenmeinungen von vermeintlichen Forschern hochgefahren und wenn dann die Wissenschaftsgemeinschaft aus guten Gründen sagt, dass es vollkommener Quatsch ist, heißt es: Da seht ihr ja, wie mit Minderheitenmeinungen umgegangen wird. Dagegen muss man extrem stark angehen und kämpfen und die Wissenschaft muss es natürlich auch intern tun. Da läuft eine ganze Menge und ich würde sagen, im Großen und Ganzen haben wir guten Grund, dem wissenschaftlichen System wirklich zu vertrauen.

Auf dem Spielfeld des Journalismus wiederum gab es jetzt in der Pandemie, aber nicht erst seitdem, eine heftige Kontroverse zwischen politischen Journalismus und Wissenschaftsjournalismus und zwar deswegen, weil eben der Journalismus generell sehr stark gepolt ist auf den Erhalt der Meinungsvielfalt, also möglichst viele Meinungen in den öffentlichen Diskurs bringen, damit die Menschen entscheiden können, welche sie für richtig halten. Und der Wissenschaftsjournalismus, so wie Sie es gerade beschrieben haben, natürlich auch versucht darüber zu informieren, was weiß die Wissenschaft. Ist schon geklärt, ob der Klimawandel jetzt eine Folge unserer Verbrennung von fossilen Energien ist oder nicht. Da gibt es einen Konflikt zwischen Meinungsvielfalt auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Konsens in der Wissenschaft, die etwas weiß, aber was die Menschen vielleicht noch nicht hören wollen. Das ist ja genau das Dilemma. Sie können einen Experten A neben einen Experten B setzen und B kann glaubwürdiger sein, obwohl er Unsinn redet und A kann unglaubwürdig sein, obwohl er das wiedergibt, was die Wissenschaft weiß. Das ist ja genau eines dieser Probleme, dass es so einfach ist, mit Wissenschaft im öffentlichen Diskurs in die Irre zu führen, um zum Beispiel Nichthandeln oder Verzögern von Handlungen zu ermöglichen. Das ist ja genau das Dilemma für den Journalismus.?

Ich würde das tatsächlich als Unsitte im Journalismus bezeichnen, eine falsch verstandene Ausgewogenheits-Präsentation oder -Repräsentation. Dieses Phänomen ist auch mittlerweile ganz gut erforscht: Obwohl sich alle seriösen Wissenschaftler einig sind, dass der menschengemachte Klimawandel eine große Bedrohung darstellt, gibt es irgendwelche Leute, die vielleicht auch irgendeinen akademischen Titel haben, die Interessen vertreten und das irgendwie anders sehen oder sehen wollen, vielleicht auch Geld dafür bekommen, ich weiß es nicht. Diese in einer Sendung gleichberechtigt hinzusetzen, erzeugt für den Zuhörer, für die Zuhörerin etwas Fatales, nämlich die Unmöglichkeit – genau was Sie beschreiben – zu unterscheiden, wer von beiden hat denn eigentlich mehr Gewicht. Man könnte das so eine Art Nominalillusion nennen, da ist einer dafür, einer dagegen, dann ist ja die Meinung 50:50. Hinter dieser einen Person stecken 99 Prozent aller Forscherinnen und Forscher auf diesem Erdball, alle Wissenschaftsakademien, alle Universitäten, alles was wir über diese Frage wissen, seriös wissen. Und hinter dieser anderen steht ein kleiner Lobbyverband und kein Wissen. Für den Hörer ist das aber in der Situation möglicherweise gleichbedeutend. Da ist eine Aufgabe von gutem Journalismus zu sagen: Falsche Ausgewogenheit fördert nicht Erkenntnis und sollte deswegen auch keine Rolle in falsch verstandenen Meinungsvielfalts- oder Gerechtigkeitsvorstellungen spielen, sondern man sollte wirklich die Experten zu den Fragen einladen und fertig. Dass man Leute hat, die andere Interessen haben, die sagen, ich bin Lobbyist, ich bin trotzdem gegen Klimaschutz, da könnt ihr sagen, was ihr wollt, weil ich Arbeitsplätze wichtig finde oder was auch immer, das ist eine andere Sache. Bei der Frage aber, ob der Klimawandel stattfindet, gibt es de facto einfach keine zwei seriösen Meinungen, da gibt es nur eine wissenschaftliche Meinung und deswegen ist hier Meinungsvielfalt ein falsch verstandenes Gerechtigkeitsgebot.

 
 

Ich habe jetzt noch zwei Aspekte, die ich zum Schluss ansprechen möchte. Zum einen wollte ich auf Kant zurückkommen, weil Sie überraschenderweise in Ihrem Schlusskapitel Möglichkeiten beschreiben, wie man Prosozialität, Kooperativität, fördern kann. Einer Ihrer Punkte ist, dass Sie in der Frage der Moral mehr Kantianer fordern, also Menschen, die sich in moralischen Entscheidungssituationen für das prinzipiell Gute entscheiden und nicht wie Utilitaristen die Handlungsfolgen unmittelbar in ihre moralische Kalkulation einbeziehen. Was erreichen diese Menschen, die auf Grundlage von Prinzipien unter Absehung der Folgen das Gute tun wollen. Warum brauchen wir die im Vergleich zu anderen, die ständig darauf achten?

Wir brauchen mehr Kantianer, wenn man das so sagen will, genau in den Situationen, wo wir kollektiv unfähig sind, etwas zu tun, was wir eigentlich selber als Kollektiv für wünschenswert und richtig erachten. Das sind nämlich genau die Situationen, wo der Einzelne sich als nicht pivotal wahrnimmt. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft mit Delegation, mit Autoritätsverhältnissen, mit einer Vielfalt von Lieferketten, wo gar nicht mehr klar ist, wer jetzt irgendwo Verantwortung übernimmt, wird Verantwortung diffus und da könnte der Konsequenzialist oder der Utilitarist sagen: Na ja, dann spielt das ja keine Rolle, was ich tue. Genau das Problem haben wir jetzt beim Klimawandel: Der Einzelne kann sagen, was ich tue, das hat ja eh keinen großen Effekt und wenn das aber alle sagen, dann passiert eben auch nichts. Und genau dieser Logik ist entgegenzusetzen: Es ist aus Prinzip falsch, einen Ressourcenverbrauch für mich selber in Anspruch zu nehmen, der, wenn ich ihn für alle 7,5 Milliarden Menschen dieser Welt verallgemeinern würde, den Erdball sofort in den Kollaps führen würde. Es ist deswegen aus prinzipiellen Überlegungen einfach falsch, einen solchen Konsum frei zu wählen. Wir brauchen einen moralischen Kompass, der nicht nur nach Nützlichkeit fragt, sondern nach richtig und falsch, weil nur der uns in genau diesen Situationen hilft.

Wie schütze ich diese aus Prinzip Handelnden davor, dass sie nicht wie die Dummen dastehen, die individuelle Kosten in Kauf nehmen, wo andere sich noch die Party gönnen?

Ja, ich bin da auch ein bisschen pessimistisch, weil das Motiv, was Sie gerade angesprochen haben, für Kollektivgüter bereit zu sein, zu kooperieren und auf den eigenen Vorteil zu verzichten, ist etwas, was die Menschen typischerweise nur machen, wenn andere das auch machen. Deswegen werden sie bei solchen großen Kollektivgutproblemen wie zum Beispiel dem Klimawandel auch nicht umhinkommen, mit Regulierungen und staatlichem Handeln wie zum Beispiel CO2-Preiserhöhungen, Klimaklubs usw. zu arbeiten, um so genau das zu verhindern, dass der Ehrliche oder der Kooperative, der Moralische, der, der sich fürs Klima einsetzt, nicht der Dumme ist. Das erreicht man typischerweise erst dann, wenn es staatliche Regulierung gibt. Aber damit wir die bekommen, muss natürlich auch an der Wahlurne jeder für so eine Politik stimmen und spätestens an der Stelle wäre ein bisschen mehr Kant zu wünschen.

 
 

Wie können Narrative und Geschichten, die in die konstruktive Richtung weisen, das Gute hervorzubringen?

Wir haben das mal an einem Beispiel gezeigt. Das war eine Studie in den USA mit etwa 8.000 Teilnehmern, eine repräsentative Stichprobe. Zunächst haben wir gemessen, wie die die Bereitschaft des Einzelnen ist, sich für den Klimawandel oder für den Klimaschutz gegen den Klimawandel zu engagieren. Man konnte die Entscheidung treffen, auf Geld zu verzichten und dafür etwas zu spenden zum Off-Setting von CO2, also einen positiven Beitrag zum Klima zu leisten, aber zu eigenen Kosten. Und da zeigt sich, dass Menschen eher bereit dazu sind, wenn sie glauben, dass andere das auch tun, also sie sind bedingt kooperativ. Das ist ein ganz zentrales Motiv unseres moralischen Verhaltens. Wir sind dann eher bereit, etwas zu tun, wenn wir glauben, andere tun das auch. Dann haben wir im zweiten Schritt gefragt: Was glaubst du denn, wie hoch die Bereitschaft in den USA tatsächlich ist, etwas für den Klimawandel zu tun? Da haben wir etwas Interessantes festgestellt, dass nämlich die Bereitschaft der anderen etwas zu tun, massiv unterschätzt wird – ich bin also zu pessimistisch, was das Verhalten meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger angeht. Das ist aus Sicht eines bedingt kooperativen Menschen eine missliche Situation, denn wenn ich die falschen, zu pessimistischen Erwartungen über die Kooperationsbereitschaft der anderen habe, dann kooperiere ich selbst zu wenig. Dann haben wir in einem dritten Schritt darüber aufgeklärt und haben gesagt: Übrigens, die Bereitschaft in den USA, etwas für den Klimawandel zu tun, ist so und so. Wir können zeigen, dass wenn man darüber aufklärt, also diese Erwartungen, die zu pessimistisch waren, in die richtige Richtung korrigiert, dass dann die Spendenbereitschaft für das Klima signifikant steigt, interessanterweise gerade unter Leuten, die man als Klimaskeptiker beschreiben kann.

Dann komme ich jetzt noch mal gezielt auf die Initiative »Together for Fact News« zu sprechen und Ihre Gründe, hier mitzumachen. Was verstehen Sie ganz persönlich unter »Together for Fact News«?

Ich würde wahrscheinlich nicht hier sitzen, wenn ich nicht fest und zutiefst davon überzeugt wäre, dass es wichtig ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu popularisieren und auch an den Mann und die Frau zu bringen. Das ist ein arbeitsteiliger Prozess, denn da sind bestimmte Fähigkeiten vonnöten, die Wissenschaftler oft nicht haben. Dazu sind aber auch Ressourcen nötig, die sie nicht haben, zum Beispiel Zeit. Und deswegen ist das Gespräch zwischen Journalistinnen, Journalisten und Forschenden so wichtig. Ich glaube, gerade in den Sozialwissenschaften, das ist ja mein Fach, herrscht in Deutschland häufig die Meinung: Darüber kann sich jeder seine Meinung bilden, da kann man raushauen, was man will, da reicht der gesunde Menschenverstand. Das ist eines der Probleme, die ich sehe. Ein zweites geht gerade die wirtschaftswissenschaftliche Berichterstattung an. Die wird weitgehend auf das, was im Alltagsverständnis unter Wirtschaft zu verstehen ist, reduziert, nämlich Leitzinsen und Bruttosozialprodukt, die Zentralbank, der Euro und die Arbeitslosenstatistik. Dahinter steckt aber eine absolut faszinierende Forschung von meinen Kolleginnen und Kollegen, zu Fragen von Fertilitätsentscheidungen, Kinderbetreuung, Gesundheitsökonomik; die ganzen sozialen Fragen, zu Ungleichheit beispielsweise oder wie können wir die Bildungschancen in Deutschland verbessern, warum sind die so schlecht? Ich glaube, darüber wird viel zu wenig berichtet.

 
 

Was ich faszinierend finde: In den Wirtschaftswissenschaften sind ja die internen Reputationshierarchien sehr gut sichtbar. Im Vergleich zu anderen Bereichen kann ich mir ja selbst auf Webseiten angucken, wer in den Wirtschaftswissenschaften im weitesten Sinne beachtete Beiträge in der Forschung leistet.

Das ist richtig, aber auch da braucht man schon so ein kleines bisschen Vorwissen. Ich sage es ungeschützt: Nur weil jemand Professor ist, ist er nicht unbedingt ein besonders guter Forscher. Wir haben eine Arbeitsteilung bei uns im Fach, dass die meisten, die sehr ehrgeizig sind, besonders erfolgreich international zu publizieren, sich wenig um die Gremien kümmern, die sind in den von der Öffentlichkeit eher wahrgenommenen Beratungsgremien wenig vertreten und so weiter. Das ist in den USA zum Teil anders. In den USA gibt es die Möglichkeit, als absoluter Spitzenforscher mal für zwei, drei Jahre in die Regierung zu wechseln und dann als „Chief Economic Advisor“ den Präsidenten zu beraten, dann auch wieder zurück in die Forschung zu gehen. In Deutschland scheint es mir so zu sein, dass die Weiche früher gestellt wird und dass sich manche dann eher für die politiknäheren Bereiche interessieren und die anderen eher für den wissenschaftlichen. Deswegen sind diese Camps ein bisschen voneinander getrennt und gerade deswegen ist die Vermittlung so wichtig. Man muss verstehen: Nur weil einer zum Beispiel viele Publikationen hat, ist das nicht unbedingt besonders ein einflussreicher Forscher.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, was Sie zu der Erkenntnis geführt hat, warum guter Journalismus über Wissenschaft für die öffentlichen Debatten so wichtig ist?

Ich bin ja als Bürger Zeuge fast jeder dieser öffentlichen Debatten und stelle immer wieder fest, es wäre gut, wenn einer meiner Kolleginnen und Kollegen dabei wäre und das eine oder andere auch einmal richtigstellen würde. Mit Richtigstellen meine ich nicht Besserwisserei, es sind manchmal Begriffe, die helfen oder es sind manchmal Hinweise auf Regularitäten, empirisches Wissen, was wir haben, was einfach in diesem Diskurs nicht vorhanden ist. Der Diskurs würde enorm profitieren, wenn wir mehr Beteiligung von Wissenschaft hätten oder die Wissenschaft über Leute, die das gut vermitteln, in den öffentlichen Diskurs tragen können.

 
 

»Together for Fact News« heißt ja für mich nicht gemeinsam und gegen die anderen, sondern der Journalismus hat ja auch eine Kritikfunktion gegenüber der Wissenschaft, gegen schlechte Wissenschaft oder Wissenschaft, die Interessen Dritter vertritt.

Wer sich in der Wissenschaft nicht mit Kritik wohlfühlt, ist in der Wissenschaft nicht gut aufgehoben. Ich behaupte mal, wer damit nicht umgehen kann, ist eine Fehlbesetzung. Das Wesen von Wissenschaft ist Kritik. Ich bin es gewohnt, dass alles, was ich mache, erst mal kritisiert wird und jeder meiner Kollegen auch. Das ist unser täglich Brot, wir müssen gegen sehr, sehr viele Widerstände unsere Punkte machen, das ist auch gut so und das ist auch richtig so. Aber es gibt natürlich auch manchmal Kritik an Wissenschaft, die ich nicht teilen würde. Zum Beispiel gibt es manchmal aus der Politik Forderungen, als wüsste man dort immer schon besser, woran man jetzt gerade forschen sollte. Und das findet häufig in ziemlichem Nichtwissen darüber statt, woran eigentlich tatsächlich geforscht wird bzw. was eigentlich die wissenschaftlich relevanten Fragen sind oder was auch überhaupt wissenschaftlich beantwortbar ist.

Altes Wasserwerk, Bonn, Sitz des Deutschen Bundestages 1986-1993

Ich möchte mich bedanken für ein sehr interessantes Interview und möchte schließen mit dem Schlusssatz Ihres Buches, der mir gut gefallen hat. Der heißt nämlich ganz einfach: Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.

Danke Ihnen!

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